Hakan Nesser schreibt, dass jede Erzählung einen Ausgangspunkt benötige, einen Narrationstrigger gewissermaßen, von dem aus sie gewebt wird. Ein konkretes Ereignis? Eine Emotion? Ein Zitat? Ein Gegenstand? Was ist es, das als Anker fungieren kann, von dem aus sich die Fäden spinnen, Fäden von Erzählenswertem, die zu einem Netz werden, das einen auffängt, in dem man gehalten wird?
Wo lässt sich ankern? Die Erinnerungen sind es, mein Anker, aufgereiht im Denkarium des Gedächtnisses. Die Erinnerungen sind das einzige Paradies, aus dem man niemals vertrieben wird, hat Jean Paul geschrieben. Es ist mein Gedächtnis und doch auch mehr als das. Zwischen mir und allen, Individuelles und Soziales gemischt. Alles eine Frage des Mischverhältnisses?
Meine Erinnerungen, ich hänge sie auf, wie einzelne Fotos, an einer Leine, nachdem sie in der Dunkelkammer ‚gereift‘ sind. Dort ist das Holz, ich kann es riechen, fein säuberlich liegt es bei uns gestapelt im Schuppen. Was war davor? Männer arbeiten hart mit ihren Händen. Das ist eine Kernmaxime des Lebens auf dem Land, auf den kleinen Dörfern, die lange auf das Breitbandinternet haben warten müssen. Ihr wollt es doch auch warm haben. Es ist Arbeit mit und in der Familie, die Onkels und Cousins, alle sind sie emsig, wie Ameisen, sie schwingen eine Axt im Wald, tanken die Motorsäge mit geübten Handgriffen, den Lärmschutz haben sie in den Ohren, die Schnitzschutzhosen bedecken die Beine, sie drücken auf den hydraulischen Holzspalter. Früher haben wir das noch mit der Hand gehauen. Stolz und Lachen über die längst vergangenen Zeiten, von denen nur noch der konstante Schmerz im Rücken zeugt. Knirschend spaltet sich das Holz.
Und dann sind da auch die Versammlungen der Haubergsgenossenschaft, dieser traditionellen Waldbewirtschaftung, die es nur in meiner Heimat gibt. Als Überbleibsel vergangener Zeiten, das ins Heute ragt. Wie viele Anteilsnehmer sind heute hier, Friedhelm? Genug, gut, damit sind wir beschlussfähig. Die Stimmen tönen in den Ohren, das Klappern des Bestecks auf den Tellern, Kartoffelsalat und Fleischwurst, ebenso. Stimmfetzen liegen auf einigen üppig gefüllten Tellern. Was, deine Tochter hat einen Marokkaner geheiratet?
Die üppig gefüllten Teller – so ist es auch zuhause. Kartoffeln, Fleisch, Gemüse, in der Regel wird derselbe Teller für die verschiedenen Nahrungsmittel gleichzeitig verwendet. Die Aufteilung folgt keinem System, der Inhalt bestimmt die Wahrnehmung. Essen ist funktionell, es erfüllt einen Zweck. Wer arbeitet, der braucht Energie, viel Energie. Das Essen dient der Nahrungsaufnahme, natürlich muss es schmecken, aber schmeckt hier nicht genau das, was der Energiegewinnung für die wichtigen Aufgaben dient? Kartoffeln, Schnitzel und Salat? Nudeln mit Bolognese? Kartoffelgratin? Damit ihr groß und stark werdet. Ist der Geschmack nicht auch eine soziale Disposition und steht er nicht dadurch auch stets zur Disposition?
Der Geschmack kann verräterisch sein, nichts ist wohl peinlicher als die falschen Speisen, die falsche Musik, die falsche Kunst zu mögen, der Geschmack hat etwas Entlarvendes, er trennt. Bei einem Meeting mit den Kollegen aufzufallen, weil man ein Schnitzel bestellt, eine Fleischspeise, mit reichlich Kohlenhydraten dazu, eine Bratwurst anstelle des kleinen Happens, der gar nicht satt macht, der nicht satt machen soll, um anzuzeigen, dass es nicht um Sättigung geht, dass man es sich leisten kann, nochmals weitere Kleinigkeiten zu essen, das löst ein Schamgefühl aus, hier bin ich deplatziert. Die Scham ist in diesem Sinne eine regulative Emotion. Sie ist ein soziales Gefühl, das nur in der Anwesenheit des Anderen entsteht, nicht irgendwelcher Anderer, sondern der, die herrschen. Sie verdeutlicht nicht dazuzugehören.
I can still remember the years and what they meant, as we etched them with our fingers in years of wet cement, so heißt es in diesem einen Song von Rise Against zwischen rockigen Gitarren hindurch, und sofort bin ich wieder dort, sehe mich als Teenager. Es waren dreieinviertel Jahre, gemeinsame Jahre, die dort eingraviert worden sind und doch getrennte, verschieden gelebte Jahre, lang schon vor der Trennung und dem ersten Liebeskummer. Wir waren zwei Akteure in einem Sozialraum, die zu weit auseinander lagen. Physische Nähe und soziale Nähe, soziale Nähe und physische Nähe. Wenn soziale Nähe physische Nähe schafft und die physische Nähe fehlt, dann weil die soziale Nähe längst verschwunden ist? As we were, so perfect, so happy. Das war einmal. Die Erinnerungen in meinem Denkarium. Mein Denkarium lädt dazu ein, immer wieder bei den Erinnerungen zu verweilen, ohne ihnen nachzuhängen wie unerfüllbaren Träumen und damit vergessen zu leben.
Lars
Gewählt wird der deutsche Siegertitel von Französisch-Studierenden an teilnehmenden Universitäten. Pro Bundesland waren ein bis zwei Unis an Bord – für Rheinland-Pfalz waren das Trier und die RPTU. Im Wintersemester fanden Seminare statt, in denen gemeinsam die vier Titel der letzten Short List gelesen wurden, bevor dann Ende Februar jede Uni einen Siegertitel gewählt hat. Am 7. März traf sich in der Französischen Botschaft in Berlin eine Delegation von jeweils zwei Studierenden pro Universität, um einen gesamtdeutschen Sieger zu wählen. Im Anschluss wurde vor Ort in Anwesenheit des Leiters der Kulturabteilung der Französischen Botschaft, Thomas Michelon, und den beteiligten Dozierenden der teilnehmenden Universitäten mit Jacaranda von Gaël Faye der Gewinner des ersten Choix Goncourt de l’Allemagne bekanntgegeben. In Landau fand das Master-Seminar „Choix Goncourt de l’Allemagne“ unter der Verantwortung von Gregor Schuhen statt. Die Herausforderung bestand darin, dass weder der Dozent noch die zwölf Studierenden zu Beginn des Wintersemesters wussten, welche vier Romane in den kommenden Wochen gelesen werden würden. Erst in der zweiten Woche standen die vier letzten sich noch in der Auswahl befindlichen Romane fest. Es handelte sich um die experimentelle Tochter-Vater-Erzählung Archipels von Hélène Gaudy, den durch und durch merkwürdigen Krimi Madelaine avant l’aube von Sandrine Collette, die Coming-of-Age-Geschichte Jacaranda über den Genozid in Ruanda von Gaël Faye sowie Houris von Kamel Daoud, in dem eine junge Frau ohne Stimme vom Bürgerkrieg in Algerien erzählt. Die zwölf Studierenden wurden in vier Gruppen aufgeteilt und mussten jeweils eines der vier Werke lesen, um dann in vier aufeinanderfolgenden Sitzungen über diese Romane zu diskutieren. Zwischendurch wurden gemeinsame Ausflüge in die Geschichte, die Methoden und die klassischen Formate der Literaturkritik gemacht. In der letzten Sitzung wurde dann mit Jacaranda der Landauer Gewinner gekürt, und es wurden mit Lukas Daubner und Jonas Parisi die beiden Delegierten nominiert, die zwei Wochen später nach Berlin reisen sollten, um dort die RPTU zu vertreten. Um die Praxis der Literaturkritik einzuüben, hatte jede/r der Studierenden die Aufgabe, eine Rezension zu einem der vier Romane der Short List schreiben. Diese wollen wir Ihnen hier präsentieren. Viel Spaß bei der Lektüre!
Des chansons françaises comme, par exemple, « Non, je ne regrette rien » d’Edith Piaf ou « Les Champs-Elysées » de Joe Dassin sont connues bien au-delà des frontières françaises : La popularité mondiale des chansons françaises – appartenant sans doute au patrimoine culturel de la France – montre qu’elles sont bien plus qu’un simple divertissement ! Dans le cadre de notre séminaire, nous sommes partis en quête de l’histoire et des caractéristiques des chansons françaises. Nous sommes également intéressés aux développement de ce genre jusqu’à nos jours tel qu’est est perceptive dans le rap et la musique électronique francophones.